Niemand und Jemand

Großmutter erzählt eine wahre Nikolausgeschichte

von Josef Huber

Diese Nikolausgeschichte (auch Weihnachtsgeschichte) spielt im letzten Jahrhundert in den 70er Jahren – nach einer wahren Begebenheit von der Großmutter des Autors nacherzählt. Diese Geschichte eignet sich gut zum Vorlesen für Kinder, auch für den Schulunterricht. Die Kinder können sich dann gut in die Nikolauszeit einer anderen Generation einfühlen.

Der Advent war kalt geworden. Noch lag nicht viel Schnee auf den Feldern, aber bald würde der Winter die Herrschaft über unseren Berg übernehmen, an dessen Hang unser Hof stand.

Am Nikolaustag hockten wir sechs Kinder in der warmen Stube zu Füßen unserer Großmutter. „Muito, erzähle uns doch, wie es in deiner Kindheit zu Weihnachten war!“, baten wir. Das Spinnrad surrte leise.

„Ja, Kinder! Der Nikolaus kam am frühen Abend auf die Höfe am Wielenberg. Er war stets begleitet von drei fürchterlichen Krampussen. Doch der Nikolaus erlaubte ihnen nicht, uns zu nahe zu kommen. Unsere Eltern wünschten, dass er uns beschenkte. Er fragte die Eltern zuerst nach unserem Benehmen und die Krampusse jagten uns ein wenig Angst ein. Der Nikolaus schüttete seine Gaben vor uns aus, und unsere Augen leuchteten.“

Das Spinnrad surrte leise weiter. Die Muito hielt inne, als dächte sie an die Nikolausabende ihrer Kindheit. Mit der Hand strich sie ihr schlohweißes Haar zurück.

„Jeden Abend betete der Vater den Rosenkranz vor, langsam und bedächtig. Uns Kindern dauerte das ein wenig zu lang, denn wir knieten auf dem Holzboden.

Mitte Dezember wurde ein Schwein geschlachtet. Wir füllten die gereinigten Gedärme mit Wurstfleisch und hängten die Speckseiten in die Räucherkammer. Nur in dieser Zeit und am Kirchtag im Oktober konnten wir Fleisch essen, Würste mit Sauerkraut, an den Weihnachtstagen auch Fleischsuppe. Wir hatten keine große Auswahl an Lebensmitteln, aber alles kam vom Hof und war gesund. Ich habe meine Eltern nie krank gesehen. Am 8. Dezember schnitten wir die Barbarazweige. Wir waren überzeugt, dass sie am Heiligen Abend erblühen würden.“

„Trink ein bisschen, Muito“, sagte die Mamme. So nannten wir unsere Mutter im Unterschied zur Großmutter. Die Muito nahm einen kleinen Schluck Tee aus der Tasse und sah uns Kinder in der Runde liebevoll an. Ihre Stimme wurde fast feierlich, als sie fortfuhr:

„Am Morgen des Heiligen Abends holten meine Brüder Joggl und Hias die Krippenfiguren vom Dachboden und richteten die Weihnachtskrippe auf. Ich war die Jüngste und durfte die Schäfchen um die Hirten herum aufstellen. Das Hiasele hatte den Stall selber gebaut und mit Stroh gedeckt.

Am Nachmittag kam unser Pfarrer auf die Höfe und segnete das Haus und die Tiere im Stall. Nach der Marende (Zwischenmahlzeit am Nachmittag) zogen wir mit den Eltern betend und räuchernd durchs Haus. Die geweihten Kräuter, die mit Harz verbrannt wurden, rochen fast wie Weihrauch. Als die Dämmerung kam, erstrahlte ein schwaches Licht im Stall mit dem Jesulein. Maria und Josef schauten glücklich auf das Kind, Ochs und Esel lagen stumm im Hintergrund, und die ersten Hirten erschienen schon vor dem Eingang des Stalles. Darüber hing an einem langen Draht der Weihnachtsengel und verkündigte die Frohe Botschaft von der Geburt des Jesukindes in Bethlehem.

Dann warteten wir eine Weile ganz still in der Küche und warteten auf die Bescherung. Ein paar Bratäpfel, ein paar Socken und Hemden, von der Nachbarin im Advent geschneidert, alles praktische Dinge, auf die wir das ganze Jahr warteten. Das Schönste war der weite Weg durch den Schnee hinunter nach Percha zur Kirche, wo wir um Mitternacht die Weihnachtsmette feierten. Es war kalt, und wir hatten klamme Finger, wenn wir das Gesangsbuch hielten und am Ende Stille Nacht sangen. Wenn wir dann heimwärts stapften und im Sternenlicht um zwei Uhr früh unseren Hof erreichten, glaubten wir den Weihnachtsstern am Himmel zu sehen, der über Bethlehem stand.“

Die Muito hielt inne. Das Spinnrad surrte gleichmäßig. Was immer geschah im bäuerlichen Jahr auf unserem Hof, war in diesem Moment in unseren Gedanken gegenwärtig. Das Gesicht der Muito leuchtete. Sie schien sich zurückzuversetzen in die Weihnacht ihrer Kindheit, die schon so unendlich fernlag. Das Spinnrad aber surrte leise weiter. Es schien, als wollte Großmutter auch ihren eigenen Lebensfaden einem guten Ende entgegen spinnen.

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